Schwer kranke Menschen erhalten unter bestimmten Voraussetzungen Cannabis als Kassenleistung. Das im März 2017 in Kraft getretene Gesetz „Cannabis als Medizin“ regelt, wann die Krankenkasse die Kosten für Cannabis-haltige Arzneimittel übernimmt. Hierbei geht es vor allem um Arzneimittel auf Cannabis-Basis, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Betäubungsmittel sind Arzneimittel, die besonderen Regelungen unterliegen, weil deren Inhaltsstoffe ein erhöhtes Abhängigkeitspotenzial aufweisen.
Cannabis ist der lateinische Begriff für Hanfpflanze. Die Hanfpflanze gehört zu den ältesten bekannten Rauschmitteln mit einer jahrtausendealten Tradition als Nutz- und Heilpflanze. Die Pflanze beinhaltet mehr als 60 sogenannte Cannabinoide. So nennt man die spezifischen Inhaltsstoffe mit pharmakologischer Wirkung. Hauptwirkstoffe der Cannabis-Pflanze sind Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD), deren Gehalt je nach Pflanzensorte erheblich schwanken kann.
Medizinisch genutzt werden die getrockneten Blüten und daraus gewonnene Wirkstoffe. Neben dem natürlichen pflanzlichen Cannabis gibt es auch künstlich (synthetisch) hergestellte Cannabinoide.
Eine Übersicht über häufig verwendete Begriffe im Zusammenhang mit der medizinischen Anwendung von Cannabis gibt die folgende Liste:
Im gesundheitsbezogenen Zusammenhang werden sehr unterschiedliche Cannabis-haltige Produkte angeboten. Grundsätzlich zu unterscheiden sind:
In Deutschland sind Cannabis-haltige Arzneimittel als Fertigarzneimittel und als sogenannte Rezepturarzneimittel erhältlich.
Fertigarzneimittel werden durch ein pharmazeutisches Unternehmen im Voraus hergestellt. Sie kommen nur auf den Markt, wenn sie eine deutsche oder europäische Arzneimittelzulassung beziehungsweise Registrierung besitzen.
Für Fertigarzneimittel gibt es zugelassene Anwendungsgebiete. Fertigarzneimittel auf Cannabis-Basis, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, gibt es in Deutschland in Form von Spray oder Kapseln. Sie sind zugelassen
In der Regel kommen diese Medikamente erst zum Einsatz, wenn andere Therapieversuche nicht ausreichend erfolgreich waren oder nicht zur Verfügung stehen.
Von den Fertigarzneimitteln abzugrenzen sind Rezepturarzneimittel. Diese werden in einer Apotheke nach ärztlicher Vorschrift individuell für einen Patienten oder eine Patientin hergestellt. Zu den Rezepturarzneimitteln gehören zum Beispiel Cannabis-Extrakte, Cannabinoid-haltige Tropfen und Kapseln sowie Cannabisblüten, die als Pulver abgegeben werden. Das Pulver kann als Tee angewendet werden oder mit speziellen Inhalatoren inhaliert werden. Für Rezepturarzneimittel gibt es keine zugelassenen Anwendungsgebiete.
Weitgehend anerkannte Anwendungsgebiete für Cannabinoid-haltige Arzneimittel sind:
Cannabispräparate sind dabei nicht Mittel der ersten Wahl. Sie kommen infrage, wenn andere Therapieoptionen nicht möglich sind oder nicht erfolgreich waren.
Öffentlich diskutiert werden positive Wirkungen von Cannabis in vielen weiteren medizinischen Fachgebieten.
Für die meisten Anwendungsgebiete gibt es bisher keine umfassenden Untersuchungen zu Risiko und Nutzen der Behandlung. Deshalb sind wissenschaftlich basierte Aussagen zu einem Nutzen in diesen Bereichen bisher nicht zuverlässig möglich. Auch die Risiken der Therapie lassen sich bisher nicht sicher abschätzen. Hierzu gehören zum Beispiel Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln, Langzeiteffekte, Nebenwirkungen und Abhängigkeitspotenzial. Die Nebenwirkungen der Rezepturarzneimittel dürften prinzipiell denen zugelassener Cannabis-haltiger Fertigarzneimittel ähnlich sein. Hierzu gehören zum Beispiel Stimmungsveränderungen, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen und Schwindel. Je nachdem, in welcher Form und bei welcher Erkrankung Menschen Cannabis einnehmen, können aber auch weitere Nebenwirkungen auftreten.
Ärzte und Ärztinnen dürfen Betäubungsmittel auf Cannabis-Basis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten und Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon nur unter bestimmten Voraussetzungen verschreiben. Diese sind:
1. Es liegt eine schwere Krankheit vor.
2. Es gibt in der individuellen Situation keine andere Erfolg versprechende und anerkannte Behandlungsmöglichkeit.
3. Es besteht eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine positive Wirkung des Medikaments.
Das Gesetz führt keine Erkrankungen oder Diagnosen auf, die generell als schwerwiegend gelten. Ausschlaggebend ist, dass die Erkrankung lebensbedrohlich oder die Lebensqualität auf Dauer stark beeinträchtigt ist. Ob ein Therapieversuch mit Cannabis infrage kommt, liegt im Ermessen des behandelnden Arztes oder der Ärztin.
Wenn Ihr Arzt oder Ihre Ärztin ein Fertigarzneimittel im Rahmen der zugelassenen Anwendungsgebiete einsetzt, muss er oder sie vor der Verordnung keine Rücksprache mit der Krankenkasse halten.
Ansonsten gilt: Bei der Erstverordnung von Cannabis-Arzneimitteln muss die Krankenkasse die Leistung genehmigen. Sie übernimmt die Kosten nur, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
Das Vorliegen der Voraussetzungen hat die Krankenkasse in jedem Einzelfall unter Einbeziehung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zu prüfen. Sie muss das entsprechende Gutachten unverzüglich einholen und die Versicherten darüber informieren. Die Krankenkasse muss innerhalb von fünf Wochen über den Antrag entscheiden. Wenn die Krankenkasse die Frist nicht einhalten kann, muss sie dies dem Antragsteller oder der Antragstellerin rechtzeitig schriftlich mitteilen. Dazu gehört eine Begründung, warum sie die Frist nicht einhalten kann.
Die Fünf-Wochen-Frist beginnt am Tag nach dem Eingang des Antrags bei der zuständigen Krankenkasse. Sie endet mit der Bekanntgabe der Entscheidung.
Hält die Krankenkasse die Frist nicht ein, gilt der Antrag als genehmigt und der Patient oder die Patientin hat Anspruch auf eine Kostenerstattung (sogenannte Genehmigungsfiktion). Wer sich nach Ablauf der Frist das Arzneimittel selbst beschafft hat, kann von der Krankenkasse die Erstattung der dadurch entstandenen Kosten verlangen.
Wichtig zu wissen: Bei Patientinnen und Patienten, die sich in spezialisierter ambulanter Palliativversorgung befinden und nicht wochenlang auf eine Entscheidung warten können, muss die Krankenkasse innerhalb von drei Tagen entscheiden. Palliativversorgung bezeichnet die Behandlung von Menschen mit einer unheilbaren, fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung.
Nur in begründeten Ausnahmefällen darf die Krankenkasse die Cannabis-Therapie verweigern. Nach einmal erfolgter Genehmigung ist kein erneuter Antrag bei der Krankenkasse notwendig, um die Dosierung anzupassen oder die Blütensorte zu wechseln.
Verordnung: Hat die Krankenkasse den Antrag auf Kostenübernahme genehmigt, kann die Ärztin oder der Arzt ein Rezept ausstellen. Cannabis-Arzneimittel müssen – mit Ausnahme von Cannabidiol – auf einem Betäubungsmittelrezept verschrieben werden. Ärztinnen und Ärzte dürfen Cannabis auch dann verschreiben, wenn die Krankenkasse die Kosten nicht übernimmt. Dann muss der Patient oder die Patientin das Arzneimittel privat bezahlen.
Werden die Fertigarzneimittel außerhalb der zugelassenen Anwendungsgebiete eingesetzt, nennt man dies Off-Label-Use. Für einen Off-Label-Use gelten besondere rechtliche Regelungen. Ein Antrag auf Kostenübernahme bei der Krankenkasse ist in diesen Fällen erforderlich.
Jeder Arzt und jede Ärztin in Deutschland kann Cannabis-haltige Arzneimittel verschreiben. Ausgenommen sind Zahn- und Tierärzte und -ärztinnen. Welche Fachrichtung als Ansprechpartner geeignet ist, hängt von der Erkrankung ab, die behandelt werden soll.
Manchmal setzen Patienten und Patientinnen große Hoffnung in eine Behandlung mit Cannabis, aber der behandelnde Arzt oder die Ärztin lehnt es ab, das Medikament zu verschreiben. Dies kann unterschiedliche Gründe haben. Medizinische Gründe liegen zum Beispiel vor, wenn es andere Behandlungsmethoden gibt, die zunächst probiert werden können, wenn es bei der zu behandelnden Krankheit keine ausreichenden Hinweise für einen Nutzen von Cannabis gibt oder Gründe vorliegen, die gegen eine Anwendung von Cannabis sprechen. Manche Ärzte und Ärztinnen scheuen eine Behandlung mit Cannabis, da sie sich nicht ausreichend auskennen, um eine sichere Behandlung zu gewährleisten. Anderen ist der Aufwand durch Kostenübernahmeantrag und Dokumentationspflichten zu aufwendig.
Was auch immer der Grund ist – Betroffene haben nicht die Möglichkeit, von Ärzten und Ärztinnen eine Behandlung mit Cannabis einzufordern. Sie können sich die Gründe Ihres Arztes oder Ihrer Ärztin erläutern lassen, um gemeinsam einen passenden Weg zu finden. Vielleicht finden Sie zunächst gemeinsam eine andere Behandlungsmöglichkeit. Hilfreiche Informationen für Ärzte und Ärztinnen, die Fragen zum Vorgehen haben, geben das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und die Bundesapothekerkammer auf ihren Internetseiten.
Natürlich haben Patienten und Patientinnen auch die Möglichkeit, sich eine zweite ärztliche Einschätzung einzuholen. Ein Erfahrungsaustausch über das Verordnungsverhalten von Ärzten und Ärztinnen kann möglicherweise im Rahmen einer Selbsthilfegruppe stattfinden.
Der Inhaltsstoff der Cannabis-Pflanze namens Cannabidiol fällt nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Die Substanz ist nicht psychoaktiv. Fertigarzneimittel und Rezepturarzneimittel mit diesem Wirkstoff sind als verschreibungspflichtige Arzneimittel auf einem normalen Rezept in Apotheken erhältlich.
Momentan ist ein Fertigarzneimittel auf dem Markt, welches nur den Wirkstoff Cannabidiol enthält. Die Lösung zum Einnehmen ist zugelassen bei schweren Formen von Epilepsie. Daneben gibt es CBD-haltige Rezepturarzneimittel, die Apotheker und Apothekerinnen individuell herstellen.
Neben den genannten Arzneimitteln gibt es Cannabis-Erzeugnisse, die nicht als Arzneimittel, sondern als Nahrungsergänzungsmittel eingestuft werden. Sie sind frei verkäuflich – also ohne Rezept – in manchen Apotheken und Geschäften oder über das Internet erhältlich. Als Nahrungsergänzungsmittel eingestufte Cannabis-Produkte fallen unter lebensmittelrechtliche Vorschriften. Sie benötigen keine Zulassung als Arzneimittel, sondern müssen nur beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) registriert werden. Daher erfolgt auch keine systematische Untersuchung auf Nutzen und Nebenwirkungen, wie sie für Arzneimittel vorgeschrieben ist. Häufig entsteht durch Werbung und durch die Anwendung als Tropfen oder Kapseln der Eindruck, dass solche Produkte einen medizinischen Nutzen hätten. Nahrungsergänzungsmittel sind jedoch nicht dazu bestimmt, Krankheiten zu heilen, zu lindern oder zu verhüten.
Laut dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit sind Nahrungsergänzungsmittel, die Cannabidiol (CBD) enthalten, nicht verkehrsfähig. Das heißt, sie dürfen nicht verkauft und angewendet werden. Wer ein CBD-haltiges Erzeugnis auf den Markt bringen will, muss vorher einen Antrag auf Zulassung eines Arzneimittels oder auf Zulassung eines neuartigen Lebensmittels stellen. Im Rahmen dieses Verfahrens muss der Antragsteller die Sicherheit des Erzeugnisses belegen.
Cannabis als Medizin soll in Deutschland künftig unter staatlicher Aufsicht angebaut werden. Dafür hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine staatliche Agentur eingerichtet. Das BfArM geht davon aus, dass es ab Ende 2020 Cannabis aus dem Anbau in Deutschland geben wird. Bislang beziehen die Hersteller die Pflanze für den medizinischen Einsatz aus den Niederlanden und aus Kanada.
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